Frederic Rzewski „Dreams“ I und II, gespielt von Igor Levit und dem Komponisten
Sein Abschiedskonzert als „Artist in Residence“ beim Rheingau Musik Festival widmete Igor Levit dem, der ihn einst künstlerisch wachgerüttelt hatte: Frederic Rzewski. Der amerikanische Komponist, der Levits Freund und Mentor wurde, war gekommen, um im ersten Teil des Konzerts im Herzog-Friedrich-August-Saal der Wiesbadener Casino-Gesellschaft den ersten Teil seines Zyklus‘ Dreams (2012/13) zu spielen. Den zweiten Teil, 2014 komponiert und Igor Levit gewidmet, spielte der Widmungsträger selbst.
Rzewski, Absolvent amerikanischer Elite-Universitäten, Schüler von Luigi Dallapiccola und manchen bekannt als Autor der knapp einstündigen Klavier-Variationen „The People United Will Never Be Defeated“ (über das chilenische Revolutionslied „El Pueblo unido, jamás será vencido“) überraschte sein Publikum, indem er zu ihm in akzentfreiem Deutsch sprach: Ob jemand den späten Film „Dreams“ von Kurosawa kenne? Kaum jemand meldete sich. Nun, die Parallelen seien auch eher formaler als inhaltlicher Art, schränkte Rzewski ein.
Am Klavier begann er fingerfertig, bisweilen impulsiv die Ellenbogen auf der Tastatur zur Hilfe nehmend, mit donnernder Dramatik, gefolgt von lyrischer Intimität. Teils unvermittelt, teils mit gefühlter Folgerichtigkeit folgte Leises auf Lautes, Ausgedünntes auf Dichtes oder Gesprächssituationen mit verschiedenen Stimmen. – Eine Parallele zu Kurosawas Schnitt-Technik? – Aus barocken Fugen zu Jazz, Free Jazz, frei improvisierter und Neuer Musik vertraute Idiome formierten sich. Aber bevor man sie greifen konnte, lösten sie sich auf in etwas Rätselhaftes. Mal unheilverkündend rumorend, mal wie lauschend bei angehaltenem Atem in stillstehender Zeit. Mit seinem starrem Blick auf die vor ihm stehenden Noten wirkte Rzewski dabei so mitreißend wie ein alternder Professor beim Verlesen einer vor Jahren verfassten Vorlesung. Während er sich hier, immerhin gegen Ende seines achten Lebensjahrzehnts, noch als virtuoser Pianist erwiesen hatte, zeigte sich Igor Levit als Virtuose pianistischer Klangmalerei: Im schwer sich aufschaukelnden ersten Satz, „Bells“, im Summen und Brummen des zweiten, „Fireflies“, Glühwürmchen, überschriebenen Satz, in dem eine als träges Trotten begonnene Marschbewegung den gesamten Schwarm erfasst, oder im von archaisierenden Momenten gespickten dritten Satz, Ruins, und schließlich in „Wake up“, dem aus einem kurzen Woodie-Guthrie-Zitat entwickelten vierten Satz. – Ein surrealistisches Hörkino.
DORIS KÖSTERKE