Ein goldener Vorhang, gleißendes Licht, Musik von Lully. Eine Karikatur von einem Sonnenkönig tapst über die Bühne, Aufmerksamkeit erheischend wie ein unerzogenes Kind. Ein Mann mit rosaroter Sonnenbrille und blonder Perücke setzt sich ans Klavier und improvisiert lärmend über einen Jazz-Standard. Eine Cellistin quetscht sich zum Pianisten auf die Klavierbank, um ihr eigenes Stück zu spielen. Auf dem Gipfel ihres Machtkampfes spielen beide zusammen Mendelssohn. Da kommt ein Posaunist herein und setzt tiefe Störgeräusche in alle Ecken der Studiobühne U17 im Mainzer Staatstheater wie ein markierender Hund. Die Sängerin hat noch gefehlt. Einschmeichelnd und körperreich singt sie Cole Porters „Night and Day“. Als keiner der Musiker sich beeindruckt zeigt, verdrängt sie zuerst, als mutmaßlich konkurrierende Frau, die Cellistin aus dem Rampenlicht.
Der Beginn des Hörtheaters „Sonnenkönige“ ist bewusst anstrengend gestaltet, als Zerrbild einer Gesellschaft, in der kaum noch jemand anspruchsvolle Fähigkeiten kultiviert und umso stärker um Bewunderung buhlt, für Äußerliches und Vergängliches wie Jugend, Schönheit und wirtschaftliche Macht.
Im Verlauf des Stückes zieht sich der goldene Vorhang zurück, die Protagonisten entledigen sich ihrer Perücken und Sonnenbrillen, Posaunist Felix Degenhardt nimmt mit einem langen, rezitativisch-eindringlichen Solo für sich ein. Die Textur wird zunehmend ausgedünnt, leise, magnetisch, mystisch.
Die musikalische Leitung hat Samuel Hogarth. Doch der Pianist überlässt das genaue Timing dem eigenen Empfinden seiner Mitspieler. Dass die Protagonisten ihre Parts aus sich selbst heraus gestalten, je leiser und ausgedünnter, umso schöner, trägt maßgeblich zur magnetischen Atmosphäre des Abends bei.
Im Zentrum steht die Komposition „Vanitas“ für Mezzosopran, Violoncello und Klavier (1981)“ des 1947 geborenen Autodidakten Salvatore Sciarrino: Ein klangsinnliches Werk mit viel Stille, das in weich getupften Klavierakkorden und zwischen Sängerin und Cellistin hin- und herwandernden Glissandi den Jazz-Standard „Stardust“ von Hoagy Carmichael verarbeitet, laut Worten des Komponisten als „Anamorphose“, als bewusste Verzerrung, die „auf rätselhafte Weise einen flüchtigen Duft bewahrt“.
Im Bühnenhintergrund steht sonnengleich eine Art Sofa aus zwei senkrecht aufeinandergestellten Halbkreisen, mit Strahlen, die sich über Bühnenrückwand und Bühnenboden ausbreiten. Gegen Ende des Stückes, markiert durch ein langes bruchloses Abwärts-Glissando der Cellistin Judith Falzerano, werden sie einer nach dem anderen eingezogen. Sängerin Geneviève King ruht schweigend und entspannt auf dem halbrunden Kern des Sonnensofas wie ein schlafendes Kind, nur noch erhellt durch einen Lichtstrahl, der, zusammen mit Posaunenklängen, durch eine geöffnete Tür am Bühnenrand dringt, bis der tanzende Sonnenkönig sie von außen verschließt. Reicher und herzlicher Beifall mit Jubel und Bravos, die wohl nur deshalb so verhalten klangen, weil sie die entstandene Poesie nicht stören wollten.
Ein Stück über die Eitelkeit und wie schön es ist, sie zu überwinden.
TERMINE
7.04.2018, 22.04.2018, 28.04.2018, 17.05.2018, 20.05.2018 → Zum letzten Mal
DORIS KÖSTERKE