Wenn ein Musiker in die Hölle kommt, besagt ein Scherzspruch, müsse er von früh bis spät Musik von Blockflöten ertragen. Doch wir wissen ja von den Stoikern, dass die Wirklichkeit niemals so schlimm ist wie die Angst davor. Und dass man sich auf schlimme Zustände vorbereiten kann, indem man den Umgang mit ihnen einübt. Konkret: man setze sich bewusst einer Überdosis an Blockflöten aus und übe sich im Bewahren heiterer Seelenruhe!
Barocknacht auf Burg Kronberg
So gesehen stand die in diesem Jahr besonders hohe Konzentration an Blockflöten in der Barocknacht des Instituts für Historische Interpretationspraxis (HIP) der Frankfurter Musikhochschule eindeutig im Zeichen der Stoa. Obwohl Stoiker Seneca in Monteverdis Oper „L’incoronazione di Poppea“, die zum Abschluss der Barocknacht-Premiere auf Burg Kronberg von den Instrumentalisten des HIP und dem Kolleg „BAROCK-VOKAL“ der Uni Mainz gemeinsam in der Johanniskirche aufgeführt wurde, gar nicht gut wegkommt.
Seneca als Sugar-Daddy
Das lag keineswegs an Florian Küppers, der den Lehrer Neros mit trag- und ausbaufähigem schwarzen Bass sang, während singende Knaben ihn in dieser (unter Mitarbeit von Karl Böhmer) angenehm unernsten Inszenierung wie einen Sugar-Daddy umschwärmten. Das lag an Nerone, vom Altus Jeff Mack trefflich als penetrantes Enfant terrible dargestellt, das seine Gattin Ottavia (stimmgewaltig: Anna Schors) verstoßen und Poppea (angenehm timbriert: Julie Grutzka) heiraten will. Senecas moralisches Gesülze geht ihm dabei auf die Nerven und er befiehlt dessen Selbstmord.
Als Amme taugt auch ein Mann
Über die Hochzeit freut sich besonders Poppeas Amme Arnalta (gespielt von Justin Schütz, und zwar toll!), in Erwartung, damit in den Rang einer großen Dame aufzusteigen. Und Armor natürlich, behände gesungen von Ines Vinkelau, der aber ohnehin um seine heimliche Allmacht weiß. Als Antiheld des Abends überzeugte Rodrigo Sosa Dal Pozzo als Ottone.
Techniken aus heutiger Zeit in die Barockmusik getragen
Im Instrumentalensemble der HIP–Abteilung fielen die Lautenisten Sergio Bermudez und Christian Sprenger auf, weil sie lautmalerische Techniken aus heutiger Zeit in die Barockmusik integrierten.
Vor der „Krönung“ hatte man in zwei bis drei parallelen Mini-Konzerten nur selten Gelegenheit, der Übermacht der Blockflöten zu entgehen und konzentrierte sich auf zwei hervorragende Musikerinnen in der Bassgruppe, Roxana Neacsu (Cembalo) und Christine Vogel (Violone).
Milo Machover öffnet einen Himmel voller Gamben
Zwischen den Exerzitien eines weisen Erduldens von Höllenqualen in heiterer Gelassenheit erlebte man auch einen Ausblick in einen Himmel voller Gamben: In allen Kulturen versuche man, über seine Singstimme mit Gott zu kommunizieren, erzählte Ensembleleiter Milo Machover zur Einführung. Im Salve regina à 6 in alternatim von Jacob Obrecht (1457–1505) sangen die sechs Gambisten zunächst jede Gebetszeile gemeinsam, um sie dann im Instrumentalspiel zu vertiefen und vermittelten eine Grundfunktion von Musik überhaupt: eine über Konfessionen erhabene „Religio“ an etwas, das mehr ist, als das einzelne Ich.
Die wohl intensivste Abhärtung für die Musikerhölle voller Blockflöten ist wohl die, selbst Blockflöte zu unterrichten. Das All Recorder Teachers Consort spielte auf zylindrisch gebohrten Renaissance-Blockflöten, die, im Gegensatz zu den konisch gebohrten Barockblockflöten, in der Tiefe sonor und in der Höhe fragil klingen. Mit dieser Option ist es in der Hölle für Musiker vielleicht dann doch nicht so schlimm.
DORIS KÖSTERKE
08.07.2018