Dramma in musica von José M. Sánchez-Verdú (2018)
Premiere am Staatstheater Mainz
Für anderthalb Stunden wird das Kleine Haus des Staatstheaters Mainz zum Bauch der Argo. Das Licht ist dämmerig. Die Klänge sind überwiegend diffus. Elektronisch weiterverarbeitet kommen sie nicht nur aus dem Orchestergraben, sondern wie von überall. In unregelmäßigen Abständen durchziehen rätselhaft tiefe Klänge den Raum und das Zwerchfell. Aus zwei gegenüberliegenden Logen tönen Oboe und Englischhorn. Ihr zusätzlich live-elektronisch verschmolzener Zusammenklang, hatte Dramaturgin Ina Karr verraten, sei dem antiken Aulos nachempfunden. Von hinten tönt eine Sopranistin. Ihre Worte sind unverständlich und sollen es auch sein, um Musik zu bleiben. Reisegenossen auf der an einen Lattenkäfig erinnernden Bühne sind (neben dem choreographisch anspruchsvoll geführten Chor) Anführer Jason (Martin Busen), Orpheus (klangschön: Altus Alin Deleanu), der den Gesang der Sirenen mit eigenem überdröhnt. Dann, dank einer Mythenverschränkung in der literarischen Vorlage, auch Odysseus (Brett Carter), der der Besatzung die Ohren verstopft und sich fesseln lässt, um den Gesang der Sirenen zwar zu hören, ihm aber nicht zu folgen. Und Butes, der beim Gesang der Sirenen ins Meer sprang. (Dass Göttin Kypris ihn vor seinem sicher scheinenden Tod retten wird, weiß am Ende dieses Stückes nur der Zuschauer). Pascal Quignard hat Butes ein Buch gewidmet, das den Komponisten José M. Sánchez-Verdú zu seinem „Dramma in musica“ ARGO inspiriert hat. Als Koproduktion mit dem Staatstheater Mainz wurde „ARGO“ bei den diesjährigen Schwetzinger SWR Festspielen uraufgeführt und hatte nun in Mainz Premiere.
„Dramma in musica“ heißt, dass Sánchez-Verdú das Drama sich auch in den Klängen selbst abspielen lassen will. Szenisch ist das Stück stark ausgedünnt, vieles auf Schattenriss angelegt. Genial die pendelnde Hängeleuchte, die den Bühnen-Käfig horizontal zum Schwanken bringt (Inszenierung: Mirella Weingarten, Licht: Ulrich Schneider, Ausstattung: Etienne Pluss). Im Nixenkostüm mit gut zweimeterlanger Mähne ist Sopranistin Maren Schwier mal Aphrodite, mal Sirene, mal Medea. Am profiliertesten war Jonathan de la Paz Zaens als sich mehr und mehr dem Wasserspiegel im Zentrum der Bühne nähernder Butes.
Alle Mitwirkenden unter der Leitung von Hermann Bäumer leisten Außerordentliches beim Vermitteln ihrer Rollen in der ungewohnten Klangsprache. Die nahtlosen Übergänge der Klänge, etwa von Flöte und Windmaschine oder Frauenchor und Blechbläsern, verraten viel Kleinarbeit des SWR Experimentalstudios mit dem Komponisten und den Mainzer Musikern. Als Zuhörer spürt man vor allem, wie die meist flächigen, Klänge den Adrenalinspiegel steigen und sinken lassen.
Der in Algeciras geborene Komponist, hatte die Dramaturgin in der Einführung erzählt, fühle sich eher einer arabischen Erzähltradition nahe, die die Bezüge zur Gegenwart nicht explizit herausarbeitet, sondern in poetischer Schwebe lässt. So lässt das Stück wahrscheinlich noch andere Deutungen offen als diese: Butes wollte um jeden Preis da raus.
DORIS KÖSTERKE
20.05.2018