Hatte man je ein so intensives Stück Musik gehört? Ein so differenziertes Spiel der Klangfarben, das räumlich das Ensemble durchwanderte? Nach der Uraufführung von Bright Ring (2018/19) von Catherine Milliken durch das von Sir George Benjamin geleitete Ensemble Modern im Mozart Saal herrschte Begeisterung. Die Oboistin, gebürtige Australierin und Gründungsmitglied des Ensemble Modern, widmete sich 2007 mehr dem Komponieren, das nicht selten ein Komponieren mit Gruppen war: etwa mit interessierten Laien im Begleitprogramm der Berliner Philharmoniker, mit jugendlichen Strafgefangenen in Wiesbaden oder, nach der Tsunami-Katastrophe 2011, zusammen mit dem Lichtkünstler Chris Wainwright (1955-2017), mit schwer Traumatisierten im japanischen Kamaishi. Mit Gruppendynamik erfahren fokussiert Cathy Milliken etwas, das im akademischen Komponieren zu kurz zu kommen scheint: Energien, Synergien, Gegenströme. Als Hauptinspiration für Bright Ring nennt sie die „Lebendigkeit und den schöpferischen Überschwang“ des Ensemble Modern. (Die Klänge und Ringe um den Saturn spielen auch eine Rolle, aber das führt hier zu weit.)
Energien, Synergien, Gegenströme
Herrlich bereits der Beginn des Stückes in den beiden einander mit neuen Ideen übertrumpfenden Geigen. Das Wandern und Sich-Wandeln von Klangfarben hat sie als Ensemblemitglied oft genug gemeinsam mit den anderen ausgehört, Basisdemokratische Konsensfindung oft genug miterlebt. In Phasen mühsam gefundener Ruhe kündigt ein zunächst leises Vibrieren das Auflodern eines neuen Themas an. Die groß angelegte Steigerung mit großem Schlag aufs Tamtam hatte von vornherein Persiflage-Verdacht erregt. Prompt folgten Widerspruch der Flöte und Neuanfang. Das tatsächliche Ende des Stückes glich eher einem Ausblenden, einem räumlichen Sich-Entfernen aus einem endlos weitergehenden Prozess – wie im Leben.
Nach dieser auch körperlich packenden Erfahrung war die sich anschließende, in der Aufführung klangsinnlich ausgehörte Piccola musica notturna (1954/61) von Luigi Dallapiccola fast zu viel. Der Uraufführung vorangegangen war Layers of Love für 13 Spieler (2015) von Christian Mason, in dem instrumentale Klangeffekte an Enten und Frösche hatten denken lassen.
George Benjamin – Into the Little Hill
Das vierzigminütige Hauptwerk des Abends war George Benjamins eigenes Into the Little Hill (2006), quasi eine Oper ohne optisches Beiwerk nach der Rattenfänger-Sage. Schade, dass man den von Martin Crimp aktualisierten Text nicht lesend mitverfolgen konnte. Aber das hätte möglicherweise die von Benjamin intendierte Fülle der Assoziationen eingeschränkt, die die eng miteinander verwobenen Linien von Ensemble und den beiden Sängerinnen freisetzten. Helena Rasker verkörperte gekonnt das Böse. Anu Komsi erstaunte mit der phänomenalen Stimmtechnik, einen offensichtlichen Schrei in den höchsten Tönen noch klangschön in die Mittellage zurückzuführen.
DORIS KÖSTERKE