Barocknacht 2020 im Corona-Modus

Kaum bekanntgegeben, war sie schon ausverkauft, die Barocknacht 2020 am Institut für historische Interpretationspraxis (HIP) an der Frankfurter Musikhochschule (HfMDK). In früheren Sommern bestand sie aus vielen kleinen parallelen Konzerten. Über den Nachmittag und den früheren Abend hinweg stellten sich darin die einzelnen Musikerinnen und Musiker vor, die dann in einer großen, oft bis nach Mitternacht währenden Opernaufführung vereint waren. Das Programm tourte durch Burgen und Schlösser des Rhein-Main-Gebiets, die ihm einen jeweils spezifischen atmosphärischen und kulinarischen Rahmen gaben. Freunde und Verwandte reisten an, um ihre persönlichen Hoffnungsträger auf den Bühnen zu erleben. Die gehobene Stimmung aus Wiedersehens- und Gaumenfreuden stand über Nervosität und Perfektion.

Corona prägt die Barocknacht 2020

In diesem Jahr war der Event auf drei Konzerte in der Musikhochschule kondensiert, zwischen denen man sich entscheiden musste. Wer keine der sehr raren Karten mehr bekommen hatte, konnte die Konzerte im Livestream verfolgen. Eine Pressekarte war nur noch für den späten Abend zu bekommen. Man betrat den Kleinen Saal mit den stark ausgedünnten Sitzreihen und suchte sich einen nicht in Dunkelgrün oder Violett überklebten Platz im Bewusstsein, an etwas ganz Besonderem teilzuhaben.

Erbarmungslos anspruchsvoll

Statt großer Oper gab es kleine, erbarmungslos anspruchsvolle Kammermusikformationen, beginnend mit der Sonate VI für zwei Celli aus dem Livre II (1735, Paris) von Jean Baptiste Barriere (1707-1747). Barrier war ein Virtuose, der wohl primär zur cellistischen Selbstdarstellung komponierte. Die Rollen waren sehr ungleich verteilt: Felicitas Weissert leistete die offensichtliche virtuose Schwerstarbeit. Souverän bespielte sie das Griffbrett in den Lagen, für die man weit über den Corpus hinweggreifen muss: Selbst versierte Barockcellisten, die es unendlich lieben, ihr Instrument innig mit den Beinen zu fixieren, wünschen sich für solche Passagen einen stabilisierenden Stachel. Aber Felicitas Weissert meisterte das ohne sichtliche Schwierigkeiten. Ihr gegenüber hatte Ena Markert für exakte Grundierungen und Akzente zu sorgen – keine triviale Aufgabe, besonders in Hochgeschwindigkeits-Springbogenpassagen.

Redlich, neckisch, fesselnd

In der „Clavier-Übung“ von Vincent Lübeck bemühte Kadra Dreizehnter sich redlich, den sich jeweils aus Arpeggien-Schauern herausschälenden Themen einen emotionalen Sinn zu geben. In Telemanns Kanonischer Sonate Nr. 1, op. 5, TWV 40 zeigte Blockflötistin Sonja Radzun viele technische Finessen, während Marlene Crone auf der Barockvioline durch exakte Intonation und neckisches Spiel für sich einnahm. Mit sicherer Technik, reicher Agogik und fesselnder Bühnenpräsenz bestach Maria Carolina Pardo Reyes in drei Sätzen aus Bachs Erster Cellosuite. In der Sonata a 2 in c-Moll für Oboe und Fagott von Johann David Heinichen (1683-1729) überzeugten Christina Hahn (Fagott) und Ortrun Sommerweiß (Cembalo) durchweg mit klangschönen, tragfähig durchgestalteten Spannungsbögen. Oboist Alexandru Nicolescu wirkte so, als habe er sich vor allem auf das abschließende Allegro vorbereitet, das ihm dann auch technisch wie klanglich entsprechend gelang.

Reicher Nachklang

Der Abend beschloss Bachs Flötensonate in g-Moll, BWV 1034 als ein von der Blockflötistin Dongju Seo und Flóra Fábri am Cembalo geschliffenes Juwel. Ein Nachklang ihrer plastischen Phrasierungen, ihrer klangschönen organischen Sanglichkeit und ihrer musikantisch sprühenden Energetik begleitete durch den Rest der Nacht.

DORIS KÖSTERKE
19.07.2020

Maurice Steger und seine Schüler

Eine aufsteigende Folge lang ausgehaltener Töne eröffnet die vor 1630 komponierte Sonata seconda per canto solo von Giovanni Battista Fontana. Während Maurice Steger sie spielte, lauschte er aufmerksam in den Raum der Mainzer Seminarkirche hinein, in dem die von ihm hervorgebrachten Klänge ihr eigenes Leben zu führen begannen. …weiterlesen

Giovanni Antonini und Ottavio Dantone

„Erforderte die Begleitung einer Sängerin eine obligate Flötenstimme, griff der Pultstar kurzerhand ins Jacket [sic!], holte das auf Betriebstemperatur gebrachte Instrument heraus und übernahm selbst diesen Part, natürlich dabei weiter dirigierend“, hieß es in der Konzertankündigung über Giovanni Antonini. Auf Einladung der „Frankfurter Bachkonzerte“ war der „Il Giardino Armonico“-Gründer zusammen mit dem Cembalisten Ottavio Dantone und vier Mitgliedern der Blockflötenfamilie (Tenor, Alt, Sopran und Sopranino) in den Mozart Saal gekommen. Um die Stimmung einer Flöte zu überprüfen, blies Antonini ein paar rauschend arpeggierte Kadenzen in den Resonanzraum des Cembalos. Dem folgten fast zwei Stunden gesteigerte Intensität: Das Minenspiel des Flötisten zeigte, wie er jedem einzelnen Ton eine Sonderbehandlung zukommen ließ, um ihn klanglich wie intonatorisch zu optimieren. Mund, Rachen, Gaumen, Zäpfchen, Nasenwurzel: sie alle haben Einfluss auf den Blockflötenton, der noch keine Musik ist. Aber was ist Musik?

Zwei Stücke von Andrea Falconieri, La Suave melodia und La Monarca, wirkten wie in Töne gefasste gesprochene Sprache, analytisch gegen den Strich gebürstet. Eine reich improvisierte Kadenz leitete über zu viel orchestrierter Stille in Dario Castello Sonata prima a soprano solo. Ihr akrobatisch lang ausgehaltener, dabei noch decrescendierender Schlusston mündete nahtlos in den Anfangston der Ricercata Seconda für Cembalo solo von Aurelio Virgiliano, in der Ottavio Dantone das Cembalo im vollendeten Legato aussingen ließ.

Dantones klare Unterscheidung zwischen tragender Melodik und akkordischem Rauschwerk in den Scarlatti-Sonaten K87 und K 27 erinnerte an Schopenhauers Diktum von der Architektur als gefrorener Musik. Das Zusammenwirken der beiden Musiker in Arcangelo Corellis „La Follia“ ließ an Bewegungen denken, die real nicht möglich sind, wie etwa Stabhochsprung-ähnliche Sieben-Meilen-Schritte anhand einer in hörbar großen Bögen einstechenden Lanze.

In den Flötensonaten von Francesco Mancini und von Händel, in Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge BWV 903 und der aus klanglichen Gründen nach g-Moll transponierten Flötensonate BWV 1034 war die experimentelle, hinterfragende und analytische Phase des Konzerts endgültig in eine kulinarische übergegangen, die dennoch das zuvor bewusst gemachte erkennen ließ: Sprachähnlichkeit, Umgang mit Stille, kolorierende Verzierungen, klangliche Stimmungen in klarer Architektur, phantastische Bewegungsabläufe und instrumentale Akrobatik, etwa beim Heben des Beines, um zur Erzeugung von Spitzentönen auch das Loch im Schallbecher der Blockflöte zu schließen.

Die galante Zugabe stammte wohl von Nicolò Fiorenza (~1700–1764).

DORIS KÖSTERKE