Rostropowitschs Erbe, hochaktuell

Als Russe hat Mstislav Rostropovich (1927-2007) den Systemkritiker Solschenizyn bei sich aufgenommen. Repressalien und Ausbürgerung nahm er dafür in Kauf. Slava, wie seine Freunde ihn nannten, hat auf der zerschlagenen Berliner Mauer Cello gespielt und ist beim Putschversuch gegen Gorbatschow im August 1991 nach Moskau gereist, um für Demokratie zu sprechen. Was hätte er, der einmal gesagt hat, er möge Putin, heute getan?

Bekenntnis zur Gedankenfreiheit

Zu seinem 95. Geburtstag widmete die Stadt Kronberg dem maßgeblichen Wegbereiter der Kronberg Academy eine Feier vor seiner Büste im Schulgarten. Der Chor der Johanniskirche sang unter Bernhard Zosel mit viel Dynamik „Dein, o Herr, ist die Kraft“ von Max Reger und, spürbar mit Herz, das terzklangreiche „Tebe poem“ des ukrainisch-russischen Komponisten Dmitri Bortnjanski. Beide Festredner, Raimund Trenkler von der Kronberg Academy und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, zitierten aus dem Offenen Brief, den Rostropovich zur Verteidigung Solschenizyns geschrieben hatte. Dieses glühende Bekenntnis zur Gedankenfreiheit ist in Russland seinerzeit nicht erschienen, wohl aber in der „Süddeutschen“. Stark-Watzinger ergänzte es mit dem Credo, „Kultur und Menschlichkeit werden am Ende siegen“.  Darauf spielte László Fenyő Bourrée I und II aus Bachs Dritter Cellosuite als eindringliche Klangrede. Im üppigen Beifall verwies er auf die Sonne, die diese „Verabredung mit Slava“ großzügig unterstützt hatte.

Künstlerpersönlichkeiten nach Rostropovichs Vorbild

László Fenyő war sehr kurzfristig für eine mit Corona infizierte Kollegin eingesprungen, um gemeinsam mit Michail Lifits das traditionelle Benefizkonzert zu Gunsten der Rostropovich Cello Foundation zu bestreiten. Die Förderung junger Cellistinnen und Cellisten in diesen Tagen ist kein Hohn. Denn es braucht auch Künstlerpersönlichkeiten nach Rostropovichs Vorbild, deren Wahrhaftigkeit und Verantwortung über die Kunst hinausweisen und die ihr durch Können erworbenes internationales Vertrauen für Menschlichkeit, Demokratie und Frieden fruchtbar machen.

Aufmerksames Miteinander Kommunizieren

Zu Beginn der Sonate für Klavier und Violoncello op. 38 von Brahms erfrischte Fenyő mit deutlich hierarchisierenden Phrasierungen, die die Kantilene in ein unerwartetes Licht setzten. Man spürte, dass beide Kammermusikpartner ein detailliertes Verständnis von dem Werk hatten und dass sie überaus aufmerksam miteinander kommunizierten. Aber man spürte auch, dass sie nicht einzuschätzen wussten, wer wie reagiert und was man wem zumuten kann. Michail Lifits schien dabei seine Rolle als Begleiter sehr ernst zu nehmen. Zu laut war er jedenfalls nie.

Brittens Referenz an Schostakowitsch

Atemberaubend Delikates, Humoristisches und Furioses sprachen aus der Sonate C-Dur für Violoncello und Klavier op. 65, die Benjamin Britten für Rostropovich geschrieben hat. Durch den furiosen Finalsatz geisterte das D-ES-C-H-Motiv als Erinnerung an den zwischen Regimekritik und Überleben-Wollen taktierenden Dmitri Schostakowitsch.

Zerbrechlich wie Freundschaft, Vertrauen und Frieden

Die Zugabe nach dem aufrichtig frenetischen Beifall war ein Da-Capo des mittleren Stücks im Programm, der von Rostropovich arrangierten „Vocalise“ op. 34,14 von Sergei Rachmaninoff (1873-1943), so berührend und zerbrechlich wie Freundschaft, Vertrauen und Frieden.

DORIS KÖSTERKE
27.3.2022